Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin

In diesen Tagen schließe ich manchmal die Augen und träume mich hinein in diesen „Spontispruch“ aus den Siebzigerjahren. Und ich spüre, wie gut es sich anfühlen würde, wenn einer einen Krieg ausruft und keiner hinginge. Unsanft erwache ich in die Realität und erkenne, dass wir als Menschheitskollektiv noch nicht so weit sind. Vielleicht befinden wir uns noch immer im Untertanenmodus.
Mehr als acht Milliarden Menschen und ein paar Diktatoren…
Ich meine, dass die Menschheit in ihrer Geschichte schon genug Leute dieser hoffentlich bald aussterbenden Spezies ertragen hat.
Immer wieder einmal wird die Frage gestellt, ob wir aus der Geschichte lernen. Ich glaube nein, denn wäre es so, dann würde es schon sehr lange keine Kriege mehr geben.

„Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“  –   seinen Ursprung hat dieser herzerfrischende Satz in dem großen Antikriegsgedicht „Da gibt es nur eins!“ von Wolfgang Borchert, der durch diesen Text und sein Bühnenstück „Draußen vor der Tür“ bekannt wurde. Er war Kriegsheimkehrer und starb 1947 mit nur 26 Jahren. Einige Tage vor seinem Tod schrieb er das Gedicht und am Tag nach seinem Tod erlebte das Bühnenstück seine Uraufführung. Solche Gedanken konnte wohl nur ein Kriegsheimkehrer zu Papier bringen, der die Kriegsrealität (an der Front und im Gestapogefängnis) an Leib und Seele erfahren hat.
Ich werde es weiter unten teilweise zitieren, denn es hat seine Gültigkeit nicht verloren und wird es auch nie (auch wenn unsere Welt heute eine andere geworden ist), so lange es Menschen gibt, die meinen Kriege anzetteln zu müssen und Menschen, die ihnen folgen und jede verlogene Kriegspropaganda aus dem Lehrbuch für Kriegsführung glauben, obwohl sie es eigentlich besser wissen könnten.

Dieser Angriffskrieg mit seinen Herz zerreißenden Bildern wird auch als „Bruderkrieg“ bezeichnet. Zwei Völker, die sich nahe sind und ähnlich  –  Kain und Abel. Zwei Völker mit ungleichen militärischen Möglichkeiten  –  David und Goliath.
Kriege erzeugen auch „Helden“, fragwürdige und echte. Vor einigen Monaten meinte eine Frau in einem Straßeninterview in Kiew „Wir haben einen Trottel zum Präsidenten gewählt.“
Das sagt und denkt heute wohl niemand mehr. Abgesehen davon, dass der ukrainische Staatspräsident nie ein Trottel war, sondern gelernter Jurist, später Schauspieler, Comedian, Drehbuchautor und Produzent. Auf das Angebot des US-Präsidenten, ihn zu evakuieren, ließ er wissen, dass er Munition brauche und keine Mitfahrgelegenheit. Der Satz eines Helden für die Geschichtsbücher.
Und da gibt es noch die anderen Heldinnen und Helden, die man Zivilbevölkerung nennt und die sich dem russischen Militär mutig entgegen stellen. Diesem wiederum wurde suggeriert, wie zu erfahren war, dass es zu einer „Übung“ ausrücken müsse.
Und auch in Russland gibt es mutige Menschen, die gegen diesen Krieg auf die Straße gehen, wohl wissend, dass sie sich der Gefahr aussetzen, verhaftet zu werden.
Eine junge Mutter, die mit ihren kleinen Kindern Blumen vor der ukrainischen Botschaft in Moskau ablegt, wird mitsamt den Kindern verhaftet. Als ich das im Fernsehen sah, fielen mir spontan unsere traurigen querdenkenden Leute ein, die sich in einer Diktatur ohne Meinungsfreiheit wähnen. Dass sie ungehindert jeden geistigen Unrat hinaus schreien dürfen, merken sie nicht einmal. Darunter sind, man glaubt es kaum, „Putinversteher“, die allen Ernstes glauben, dass ihr Held kommt, um sie von der deutschen  Diktatur zu befreien.
Ich zähle mich nicht zu den Putinverstehern und ich bin auch keine Psychologin, aber ich verstehe, dass ein glücklicher und an Psyche und Geist gesunder Mensch weder Diktator wird, noch Kriege anzettelt.

Laut aktuellen Umfragen haben 69 Prozent der deutschen Bevölkerung Angst vor einem Krieg. Aber Angst ist kein guter Ratgeber und sie scheint mir auch unbegründet, denn das russischen Militär steht vor Kiew und nicht vor Berlin.
Was wir jetzt brauchen ist Mitgefühl, Empathie und nicht Angst. Mitgefühl für die Menschen in der Ukraine, Mitgefühl aber auch mit den Russinnen und Russen, von denen die meisten sich Freiheit und Demokratie wünschen.

So viele Menschen weltweit öffnen ihre Herzen angesichts der Schreckensbilder und beeindrucken mit Mitgefühl und tätiger Hilfe und bekunden demonstrierend auf den Straßen der Städte der Welt ihre Ablehnung dieses Kriegsgeschehens und von Krieg generell.
Es ist Zeit, die Kostbarkeit des Lebens in Frieden und Freiheit mit Dankbarkeit zu spüren und zu feiern.
Und mit diesem guten Gefühl geben wir Angst und Wut keinen Raum und können Gedanken des Friedens und der Liebe in das Kriegsgeschehen senden.

Hier der kurze Auszug aus dem Gedicht von Wolfgang Borchert, das im Original zwei Seiten lang ist:

Du Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt.
Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen, sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur ein: Sag NEIN!
Du Forscher im Laboratorium.
Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!
Du Dichter in deiner Stube.
Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Hasslieder singen, dann gibt es nur eins: Sagt NEIN!
Du Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins: Sagt NEIN!
Du Mutter
in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du Mutter in Frisco und London, du am Hoangho und am Mississippi, du Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo  –  Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur sein: Sagt NEIN!