In Altenstadt bei Schongau in Bayern steht die roman(t)ische Basilika St. Michael, auch als Wallfahrtskirche für die Singles bekannt, welche keine mehr sein wollen. Man muss also nicht nach Padua zum Hl. Antonius pilgern, um seinen Beziehungsstatus zu ändern.
Es ist schon einige Jahre her, da fuhr einer aus meinem Freundeskreis nach Altenstadt und bald danach war er kein Single mehr. Das hat einigen alleinstehenden Frauen (wir sitzen auch manchmal) keine Ruhe gelassen. Unsere katholische und protestantische Restfrömmigkeit zusammen kratzend fuhren wir im folgenden Frühjahr bei Regen und Wind zur Basilika. Um es vorweg zu sagen und soweit ich es überblicken kann – wir alle sind noch immer Singles. Vielleicht hätten wir zu Fuß und bei Sonnenschein pilgern sollen, wie es sich für anständige Wallfahrer gehört. Nachher ist man immer schlauer…
Es reicht! So kann das Elend nicht weiter gehen, dachte ich wehleidig und wollte wegen der nicht stattgefundenen Angelegenheit Ursachenforschung betreiben. Also machte ich mich auf den Weg zu einer Wallfahrt der ganz anderen Art. Selbstverständlich bei Sonnenschein und zu Fuß. Ich begab mich auf eine Astralreise. Das ist der Weg von unserer grobstofflichen Erde auf eine feinere geistige Ebene, auf der alles möglich ist (scheint). Ich wollte erfahren, warum die „Engel der Zusammenführung“, die bei dem Freund gute Arbeit getan haben, bei uns Frauen so spektakulär versagten. Diese Engel sind jene, die zwischen den potenziellen Partnern so lange hin und her flattern, bis alle Blockaden beseitigt sind, die diese beiden daran hinderten, sich zu finden. Vielleicht denkt Ihr, so viele Blockaden kann doch kein Mensch haben. Doch, er kann!
Als ich das himmlische Amt der Zusammenführung auf einer ehemals altrosafarbenen Wolke endlich fand, läutete ich. Niemand öffnete, also trat ich herzklopfend ein. Mit dem Anblick, der sich mir bot, hatte ich allerdings nicht gerechnet. In einem dämmerigen, renovierungsbedürftigen Amtszimmer saßen zahlreiche Engel mit ordentlich zusammengefalteten Flügeln auf ihren Bürostühlen oder lagen auf Klappbetten und schliefen, teilweise ziemlich laut. Es klang nicht angenehm. Engelschöre hatte ich mir anders vorgestellt. Als ich näher trat, sah ich, dass alle in fortgeschrittenerem Alter waren. Meine Annahme, Engel seien zeitlos, musste ich revidieren. Es sah aus, als wollten sie die Zeit bis zu ihrer Pensionierung schlafend überbrücken.
An den Wänden, die das letzte Mal im Mittelalter gestrichen worden waren, klebten zahlreiche vergilbte Fotoporträts, auf denen ich einige Gesichter erkannte. Angesichts dieses friedlichen Anblicks entfuhr es mir in gereiztem Unterton: „Also jetzt wundert mich gar nichts mehr, da können wir ja lange warten.“
Plötzlich hörte ich aus einer Ecke ein Geräusch. Sollte einer der Engel gar erwacht sein?
Auf dem nackten Fußboden fand ich einen gleichfalls schlafenden, gut gebauten und verdammt (wenn man dieses Wort im Himmel gebrauchen darf) gut aussehenden etwas jüngeren Engel, der zwischen den Knien einen Pfeil und einen Bogen eingeklemmt hielt.
Um FakeNews vorzubeugen, der Fußboden war nackt und nicht der Engel.
Ich versuchte ihn wachzurütteln, worauf er nicht reagierte. Also begann ich vorsichtig, ihm seine Arbeitsuntensilien zu entwenden. Sofort war er wach und auf den Beinen. „Was willst du denn hier?“ herrschte er mich an und fragte gähnend: „Kann man nicht einmal nach harter Arbeit ausruhen?“
Plötzlich musterte er mich nachdenklich: „Du kommst mir bekannt vor.“ Ich deutete stumm auf mein vergilbtes Foto an der Wand und bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick:
„Nach harter Arbeit sieht das hier aber nicht aus und wenn Ihr nicht bald aus den Federn kommt, fallen meine Freundinnen auch noch vom Restglauben ab.“ Er reagierte erschrocken und gestand, dass er der einzige wäre, der noch seiner Aufgabe nachkomme, welche keine einfache sei, denn es gäbe so viele Blockaden und die Menschen würden sich mit dem Loslassen von Vergangenem unglaublich schwer tun. Außerdem leide die Behörde unter Nachwuchsmangel, denn wer wollte denn heutzutage noch ein Arbeitsengel sein und ehrenamtlich einen so anstrengenden Job machen, nur für ein wenig Manna dann und wann. Die Chorengel hätten keine Nachwuchssorgen, weil die ehemaligen Mitglieder von Opernchören, Kirchenchören und Gesangsvereinen Schlange stünden.
Ich stoppte die Schilderung seines Leidensweges mit der Frage nach seinem Namen. „Wir sind 30 Engel und heißen alle Zusiel,“ Mein verständnisloser Blick veranlasste ihn zu einer Erklärung: „Der Name ist eine Kombination aus unserem Job (Zusammenführung) und unserer göttlichen Herkunft, also ‚El‘, wie z.B. Michael, Raphael, Gabriel. Wir sind durchnummeriert, ich bin Zusiel 28.“ Tatsächlich hatte ich 27 Engel gezählt, er war der achtundzwanzigste. „Wo sind denn die beiden anderen?“ Er wusste es nicht, aber so vorsichtig wie optimistisch meinte er: „Vielleicht sind sie in Oberbayern unterwegs.“
„Das glaubst auch nur du“ grantelte ich respektlos und fragte, was denn sein letzter erfolgreicher Job gewesen sei. Man höre und staune, er hatte Anton und Angelika mit seinem Pfeil erlegt und das habe ihn so erschöpft, dass er seitdem schlafe. „Das ist aber schon Monate her“ wagte ich einzuwerfen. Er streifte mich mit einem eisigen Blick, wie ich ihn einem Engel niemals zugetraut hätte.
Trotz allem bot ich ihm aus einer Mischung aus Mitgefühl und Berechnung spontan eine Kneippkur in Bad Wörishofen zwecks Erholung an. Und mit fiesem Unterton erzählte ich ihm, dass Wissenschaftler festgestellt hätten, der moderne europäische Mensch beherberge noch ungefähr zwei bis drei Prozent Neandertaler in seinem Genpool. Zusiel 28 meinte, dass er das nicht glauben könne, weil die doch schon so lange ausgestorben sind. Da blickte mein innerer Neandertaler ihn spontan an. Zwei Prozent reichten, Zusiel 28 erschrak und trat einen Schritt zurück. Ich erzählte ihm natürlich nicht, dass die Neandertaler, ganz im Gegensatz zur heutigen Menschheit, recht harmlose Leute waren. Hastig verkündete er, dass er wenn er eh schon in der Nähe ist, nach der Kneippkur sofort in unserer Region auf Singlepirsch gehen wolle, versprochen…
P.S.
Jahre sind vergangen und wir alle irren noch immer alleine in der Welt herum. Anton und Angelika haben sich längst getrennt.
Ich sorgte dafür, dass die zusielige himmlische Behörde die Kurhausrechnung erhielt. Ein Zahlungseingang konnte in Bad Wörishofen allerdings nie festgestellt werden.
Ich weiß, dass es nicht sein sollte, aber manches Mal bin ich richtig nachtragend, um nicht zu sagen rachsüchtig. Deshalb bemalte ich ein Plakat mit einem Text, frei nach Dante’s
„Die göttliche Komödie“ und nagelte es an die wurmstichige Türe des himmlischen Zusammenführungsamtes:
„Ihr Singles, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren!“