Musik ist eine heilige Kunst – Teil 1

Schon immer hat es mich interessiert, wie und woher schöpferisch aktive Menschen ihre Inspirationen erhalten. Und da mir von allen Künsten die Musik am nächsten ist, war ich freudig überrascht, als ich vor vielen Jahren das Buch von Arthur M. Abell „Gespräche mit großen Komponisten“ entdeckte.
Im Jahr 1890 machte sich der junge amerikanische Musiker auf den Weg nach Deutschland, ohne zu ahnen dass er 28 Jahre bleiben und nie zuvor Gehörtes zu Papier bringen würde. In dieser Zeit nutzte er jede Gelegenheit, große Komponisten persönlich kennenzulernen, um von ihnen das Geheimnis ihres Schaffens zu erfahren.

Mr. Abell traf den jungen Richard Strauss (1864-1949) im Jahr seiner Ankunft. Der durch seine Opern, Symphonien und Lieder weltberühmt werden sollte, äußerte freimütig: „Keine Komposition wird lange leben, wenn sie nicht inspiriert ist. Wenn ich mich in inspirierter Stimmung  befinde, habe ich bestimmte Zwangsvisionen unter dem Einfluss einer höheren Macht. In solchen Augenblicken spüre ich, dass ich die Quelle der unendlichen und ewigen Kraft erschließe, aus der Sie und ich und alle Dinge hervorgehen.“
Ein Jahr vor dessen Tod lernte Abell in Wien  Johannes Brahms (1833-1897) kennen. Keiner der befragten Komponisten gab so viel über die Quelle seiner Inspiration preis, wovon hier nur ein kleiner Ausschnitt möglich ist: „Ich werde jetzt berichten, wie ich mit dem Unendlichen in Verbindung trete, denn alle inspirierten Ideen stammen von Gott. Beethoven, mein Vorbild, war sich dessen wohl bewusst.“ Brahms vertraute Abell an, dass er sich im Zustand der Halbtrance befinden müsse, um die Inspirationen empfangen zu können. In diesem Zustand der Verzückung verbinde er sich mit Gott. Er verspüre Schwingungen, die ihn durchdringen und ihm ein Gefühl des Eins-Seins mit Gott vermittelten, gemäß dem Jesus-Wort: „Der Vater, der in mir wohnt, tut die Werke.“
„Sofort strömen die Ideen auf mich ein, direkt von Gott. Ich sehe nicht nur bestimmte Themen vor meinem geistigen Auge, sondern auch die richtige Form, in die sie gekleidet sind, die Harmonien und die Orchestrierung. Takt für Takt wird mir das fertige Werk offenbart. Ich spüre, dass ich im Augenblick mit dem Unendlichen in Einklang stehe und kein Schauern kommt dem gleich.“ Und er ergänzte: „Kein Atheist wird je ein großer Komponist sein.“
Brahms nahm Abell das Versprechen ab, seine Offenbarungen erst 40 Jahre nach seinem Tod zu veröffentlichen, was dann auch so geschah.

Giacomo Puccini (1858-1924), der italienische Opernkomponist, dessen Werke Weltruhm erlangten: „Die Musik zur Oper ‚Madame Butterfly‘ wurde mir von Gott diktiert.“ Trotzdem machte es der göttliche Schöpfer diesem Komponisten nicht so leicht wie dem Kollegen Brahms: „Die Ideen strömen mir wohl zwanglos zu, aber sie in die richtige Form zu bringen, die Form, die den Erfolg verbürgt, ist eine Herkulesarbeit.“

Von Ludwig van Beethoven (1770-1827), der über ein eigenes Orchester verfügte, ist durch Brahms folgende Geschichte überliefert. Als sein Konzertmeister sich anlässlich der ersten Probe für ein neues Werk bei Beethoven über eine Stelle in der Partitur beschwerte, die für die linke Hand des Geigers zu schwer zu spielen sei, blaffte Beethoven ihn an: „Als ich diese Stelle schrieb war mir bewusst, von Gott dem Allmächtigen inspiriert worden zu sein. Glauben Sie, ich kann ihre winzige Fiedel berücksichtigen, wenn Er mit mir spricht?“ Und zu Bettina von Arnim meinte der große Meister selbstbewusst: „Ich weiß, dass Gott mir näher ist als allen anderen meiner Zunft. Ich verkehre mit Ihm ohne Furcht.“
Die „Stimme Gottes“ wird Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) genannt und wenn wir die Aussagen der interviewten Komponisten über Inspiration bedenken, ist diese Bezeichnung mehr als zutreffend. Nach dem Vorgang des Komponierens befragt, erwiderte er: „Es geht bei mir zu wie in einem schönen starken Traume.“ Von Joseph Haydn (1732-1809), dem Freund und Mentor Mozarts ist überliefert, dass das Komponieren für ihn eine Art Gottesdienst war. Dafür zog er seinen besten Anzug an und sagte: „Ich trete jetzt mit Gott in Verbindung und muss passend gekleidet sein.“
„Der liebe Gott der Musik“, so nannte der französische Komponist Claude Debussy den großen Johann Sebastian Bach (1685-1750), der zusammen mit Mozart als das hellste Licht am Musikhimmel leuchtet. Von ihm ist keine Äußerung über Art und Quelle seiner Inspiration bekannt. Er gilt vielen Musikfreunden als der größte unter den Komponisten. Beethoven rief aus: „Bach? Meer sollte er heißen!“ Und Brahms empfahl: „Studiert ihn, dort findet ihr alles.“

Zum Schluss möchte ich noch einen zeitgenössischen Musiker zitieren  –  Michael Jackson, den „King of Pop“: „Der Prozess des Liederschreibens ist schwer zu erklären, denn er ist sehr spirituell. Es ist als sei es schon geschrieben, bevor wir geboren werden und du bist nur die Quelle, durch die die Lieder kommen. Sie fallen dir zur Gänze in den Schoß, du musst nicht viel darüber nachdenken. Ich fühle mich manchmal schuldig, dass ich meinen Namen unter die Lieder schreiben muss, denn es ist die Arbeit Gottes.“

Der 2. Teil folgt demnächst. Beide Teile sind die gekürzte Fassung meines gleichnamigen Artikels in der Zeitschrift „Das Wesentliche“.