Reiseimpressionen – Glastonbury

Es gibt Orte, die den Eindruck erwecken, der Schleier zwischen der irdischen und der sogenannten „Anderswelt“ sei durchlässiger als an anderen Plätzen. Die kleine Stadt Glastonbury in der lieblichen Landschaft der südenglischen Grafschaft Somerset gelegen, wo das mythische Avalon vermutet wird, ist ein solcher Energieplatz, der von den Briten „englisches Jerusalem“ genannt wird und als heilig gilt. Und vielleicht ist es der einzige Ort, der eine Synthese unserer keltischen, urchristlichen und den daraus folgernden mythologischen Wurzeln bildet.
Stadt und Umgebung ist keltisches Mutterland. Vor 2000 Jahren residierte dort eine blühende Druiden-Universität. Einige Anhänger von Jesus flüchteten nach Europa. Die einen landeten an der südfranzösischen Küste, andere erreichten das Areal der späteren Abtei im heutigen Glastonbury und hinterließen dort ihre Spuren. Und aus diesem keltisch-urchristlichen Amalgam entstanden mythische Geschichten über das „heidnische“ Avalon, König Artus, seine Ritter der Tafelrunde und den heiligen Gral, der sowohl eine keltische (Kessel der Unsterblichkeit), als auch eine christliche (Kelch oder Schale) Bedeutung hat. Weil solche Geschichten immer auch einen wahren Kern haben, trügt das Gefühl der Durchlässigkeit der grob- und feinstofflichen Ebenen gewiss nicht.
Allerdings muss man schon sehr tief hinein spüren, um unter einer dicken Nebelschicht, die nichts mit den „Nebeln von Avalon“ zu tun hat, das Geschilderte wahrzunehmen.

Glastonbury ist den Lesern des Bestsellers „Die Nebel von Avalon“ und den Menschen, die sich dem Gralsmythos verbunden fühlen, wohl bekannt. Die Steinkreise von Stonehenge und Avebury sind nicht weit und in der Umgebung findet man die schönsten Kornkreise. John Lennon hat dort sein Lied „Imagine“ komponiert und seit 1970 wird alljährlich das „Glastonbury Festival of Contemporary Performing Arts“ gefeiert, eines der größten Open-Air-Musikfestivals der Welt.
Damals feierten in der kleinen Stadt die „Blumenkinder“ mit reichlich Drogen ihren „Summer of Love“. Die heute in die Jahre gekommenen und deutlich als ehemalige Hippies zu erkennenden, finden sich immer wieder gerne auf der Suche nach der vergangenen Jugend in Glastonbury ein, „for ever young“ eben.
Vor fünf Jahren im Herbst war ich schon einmal dort. Damals waren nur wenige Touristen unterwegs, darunter einige dieser Paradiesvögel aus alten Zeiten. Wir  „Normalos“ waren mehrheitsfähig in der Highstreet, in der sich, ganz auf den Esoterik-Tourismus ausgerichtet, ein Laden an den anderen reiht.
Ende Mai 2018 ist es ganz anders. Touristenströme in der Stadt und wir „Normalos“ sind die Minderheit. Und da kommt der „dichte Nebel“ ins Spiel. Im überfüllten Glastonbury fühlt man sich wie in einem Kindertheater. Althippies und ihre jüngeren Epigonen in den verrücktesten Kostümierungen tanzen  –  ja um was eigentlich? Dichter Nebel in vielen mit Alkohol und Drogen zugedröhnten Köpfen. Dieses mehr oder weniger liebenswerte verrückte Theater als „Commedia“ zu betrachten, erscheint mir die beste Art zu sein, diesen kleinen „Hexensabbat“ in das Urlaubsfeeling zu integrieren.

Gerne flüchtet man sich auf das der belebten Highstreet benachbarte Areal der alten Abbey (Abtei), von der fast nur noch Ruinen existieren, allerdings sehr attraktive. Es ist mein ganz persönliches Highlight, damals und heute. Ein mächtiger Kraftplatz, Ort der Stille und des Friedens. Wenn man unter den alten wunderbaren Bäumen steht, in den Teichen Seerosen bewundert und den Enten und Fischen zuschaut, die Nase in duftende Blumen steckt, dem gepflegten Kräutergarten ein paar frische Gewürzkräuter für das Abendessen „entnimmt“, dann weiß man, warum man die Reise angetreten hat.
Und wenn man sich mit offenem Herzen, mit Liebe und Respekt nähert, wenn man alles für möglich hält, dann kann dieses kleine Städtchen und seine Umgebung mit seinen unsichtbaren Wesenheiten dem Besucher einiges von seinem Reichtum, seinem Wissen und seiner Zuwendung schenken.

Es gibt noch so viel zu entdecken in dieser kleinen sonderbaren Stadt, was ich hier nicht alles beschreiben kann, deshalb eine Buchempfehlung. Ein kleines, aber feines Büchlein, das  sowohl ein Reiseführer für innen und außen ist, als auch ein Bildband mit schönen Fotos:
Antara Reimann: „Glastonbury – Spirituell reisen zu den Kraftorten Avalons“