Alle wollen alt werden… Teil 2

„Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“

Dankbarkeit zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Es gibt so vieles, wofür ich zu danken habe und das muss, aus höherer Sicht betrachtet, nicht immer nur das „Gute“ und „Schöne“ gewesen sein.  Jeden Tag versuche ich mich an etwas zu erinnern, an den Duft einer späten Rose, einen alten Baum, Landschaften im Frühlingslicht und Herbstsonne, ein Lächeln im Supermarkt, vertrauensvolle Freundschaften und geschenkte Liebe  –  all das weitet mein Herz. Und ich vergesse die Freude und vor allem das Staunen nicht über diese kleinen und großen Wunder, denn sie als solche wahrzunehmen ist nicht selbstverständlich. Mir gefällt der tiefe poetische Satz der Dichterin Hilde Domin: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten.“

„Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus“

Die fortgeschritteneren Jahre sollten auch die Zeit der „Vogelperspektive“ sein. Wir Menschen veranstalten gerne Dramen, meistens im zwischenmenschlichen Bereich und manchmal sogar  in Shakespeare-Format. Wenn es uns gelingt, diese Vogelperspektive einzunehmen, d.h. mit einigem Abstand unsere vergangenen und gegenwärtigen Krisen zu betrachten, dann entpuppt sich manches, was wir und andere „da unten“ inszenieren, „von oben“ gesehen als ein Festival der Ego-Spiele.
Voraussetzung für die Vogelperspektive sind Flügel. Die wurden aber vielen Menschen gestutzt, sei es in Elternhaus, Schule oder Beruf. Wir wollen nochmals, oder vielleicht sogar zum ersten Mal, die hoffentlich nachgewachsenen Flügel ausbreiten und zu neuen Ufern fliegen, die Weichen anders stellen, aus dem Fundus der Liebe schöpfen, uns vielleicht sogar noch einmal verlieben, neugierig und rebellisch sein, aus vorgegebenen Strukturen ausbrechen, quer denken  –  auf jeden Fall aber mit allen Sinnen tief ins Leben eintauchen. Und wir dürfen endlich den Lack anerzogener Moralvorstellungen entfernen, den wir über die natürlichen Regungen des Herzens gepinselt haben. Als in der Freiheit angekommene Menschen treten wir sinnlose Konventionen in die Tonne und werden zu „Anarchisten“. Wir sagen was wir denken, weil wir uns „Narrenfreiheit“ gönnen.

Der Narr, der Eremit und das innere Kind

Die Tarotkarte „Der Narr“ bedeutet unter anderem Unternehmungslust, Unbekümmertheit, Leichtigkeit, Lebensfreude und kindliches Staunen. Das sind Eigenschaften, die wir uns  –  vielleicht wieder  –  zu eigen machen sollten.
Es erscheint mir sinnvoll, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen dem, was „Der Narr“ repräsentiert und dem, was die Tarotkarte „Der Eremit“ ausdrückt: Selbsterkenntnis, zu sich finden und zu sich stehen, Klarheit, innere Ruhe, Kontemplation.
Und so nehmen auf der Zielgeraden der Narr und der Eremit unser in unzähligen Büchern beschriebenes und in Workshops wiederbelebtes „Inneres Kind“ in die Mitte. Und wissend, dass sie eins sind, dürfen sie Hand in Hand die Herrschaft in unserem Leben übernehmen.

„Es ist gut, wenn uns die verrinnende Zeit nicht als etwas erscheint,
das uns verbraucht, sondern als etwas, das uns vollendet.“
(Antoine de Saint-Exupery)