Von Bad Ischl nach Wien und zurück

Zwei Städte, die  gewissermaßen durch eine Nabelschnur miteinander verbunden sind, haben Weltgeschichte geschrieben. Die eine ist eine sehr große Stadt, die andere eine kleine. Von ihnen möchte ich heute berichten.
Im Mai besuchte ich meinen Bruder und meine Schwägerin im schönen österreichischen Salzkammergut. Kurz vor meiner Fahrt nach Bad Ischl erfuhr ich, dass die beiden sich für mich als vorgezogenes Geburtstagsgeschenk zwei Tage Wien ausgedacht hatten. Mein letzter Wien-Besuch lag inzwischen 29 Jahre zurück. Wer mich näher kennt weiß, dass ich dort ab 1965 sieben Jahre meines Lebens verbracht und die wichtigste Weichenstellung für mein Leben erfahren habe.
Weil ich dafür sorge, dass Ihr in meinem Blog nicht mit kommerzieller Werbung überzogen werdet, erlaube ich mir, gewissermaßen als Belohnung, für diese schöne Stadt an der Donau zu werben, die eigentlich gar keiner Werbung bedarf.

Die Wiener Kaffeehaus-Kultur gehört zum „Immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe“, wie auch der Wiener Walzer, die Wiener Sängerknaben und einiges andere mehr, was die Stadt zu bieten hat. Stephansdom, Karlskirche, Staatsoper, Burgtheater, Ringstraße, Kärntnerstraße, die Nobelmeile „Graben“, Hofburg, die wunderschöne Parkanlagen der Innenstadt, Musik, Malerei und Architektur und und und…
Wien erscheint mir als Stein gewordene Musik, ein Schmuckkästchen, bis oben angefüllt mit Kostbarkeiten. Und gibt es noch eine Stadt auf der Welt, die sich so inbrünstig und manchmal auch reichlich schmalzig in hunderten Liedern selbst besingt?
Dieses Jahr wurde Wien, für die Hauptstadt eines so kleinen Landes viel zu groß, zum zehnten Mal in Folge zur „lebenswertesten Stadt der Welt“ gekürt. Österreich war aber nicht immer so klein, doch davon später.

Als kleines Kind an der Hand meiner Großmutter kam ich zum ersten Mal in die Donaustadt. Ich erinnere mich nur an die Kärntnerstraße mit den vom Kriegsgeschehen zerbombten Häusern, die mich ungemein beeindruckt haben. Da brach in meinem Kinderherzen eine Liebe auf, die mich von da an begleitete. Die Zukunft lag also glasklar vor mir: Da muss ich hin, „wenn ich einmal groß bin“. Und als ich endlich „groß“ (160 cm), aber noch nicht ganz volljährig war, suchte ich mir eine Arbeitsstelle und ein Untermietzimmer, packte meine Sachen und machte mich von Linz aus (Heimat der im 17. Jhdt. dort kreierten Linzertorte) Donau abwärts auf den Weg. Den irdischen und auch den himmlischen Genüssen ergeben (da sind die Grenzen manches Mal fließend), könnte ich es so sagen: Ich tauschte die uralte Linzertorte mit der wesentlich jüngeren Sachertorte (19.Jhdt.). Letztere ist leichter verdaulich, wie man auf den Foto erkennen kann…


Die Stadt genoss ich mit allen Sinnen und verbrachte die meisten Abende auf den Stehplätzen der Staatsoper, dem Goldenen Saal des Wiener Musikvereins (den alle Welt aus den Fernsehübertragungen der Wiener Neujahrskonzerte kennt) und den anderen Konzertsälen und Theatern.

Wiener Kaffeehaus-Kultur, einmal ganz persönlich

An den Abenden ohne Kunstgenuss gab ich mich in meinem Stammkaffeehaus mit Inbrunst den frisch gebackenen himmlischen Buchteln  (böhmisches Hefegebäck), dem Ei im Glas und der Melange (Kaffee) hin. Zur besonderen geistigen Atmosphäre trugen die interessanten anderen Stammgäste bei, zu denen u.a. auch André Heller und Helmut Qualtinger gehörten. Es ist das unmittelbar neben meinem damaligen Arbeitsplatz gelegene und international bekannteste Kaffeehaus der Stadt, das „Hawelka“ in der Dorotheergasse, nahe dem Stephansdom. Betrieben wurde es damals von Leopold und Josefine Hawelka (heute von den Söhnen).
Herr Hawelka begrüßte und verabschiedete jeden Gast mit Handschlag, was eine freundliche Atmosphäre schuf. Er war auch Mäzen junger unbekannter Maler, deren Werke die Wände zierten. Frau Hawelka hatte das Sagen, während er, der herzenswarme Patriarch, das „Fräulein Brigitte“ unter seine Fittiche nahm und immer streng darauf achtete, dass in seinem Lokal kein Mann einer Frau unerwünscht zu nahe kam.
Als ich in den Neunzigern, also etwa 20 Jahre nach meinem Umzug nach München, das Hawelka wieder betrat, begrüßte er mich mit Handschlag und nuschelte meinen Namen, was ich als eine Art Ritterschlag empfand.
Josefine wurde 93 und Leopold ein bisschen mehr als 100 Jahre alt. Die beiden haben einen festen Gedenkplatz in der Nostalgieabteilung meines Herzens.
Zur Wiener Kaffeehaus-Kultur gehört auch, dass der Gast bei einem „Schalerl“ (Tasse) Kaffee, unzähligen Gläsern Leitungswasser und einem „Kipferl“ oder anderem Gebäck viele Stunden verbringen kann, für arme Studenten, Poeten und sonstige Jünger brotloser Künste ein Segen. Ob das heute noch so ist und sein kann, wo Wien von Touristen mehr denn je überschwemmt wird, die vor den Kaffeehäusern der Stadt Schlange stehen, weiß ich nicht.
Ich merke gerade, dass ich mich ein bisschen verplaudert habe beim Wiener Kaffee, deshalb mache ich mich jetzt auf den Weg in die zweite „Kaiserstadt“, nach

Bad Ischl

das so eng mit Wien verbunden ist, dass man tatsächlich von einer Nabelschnur sprechen kann. Der junge Kaiser Franz Joseph I. (das ist der von der Sissi) entdeckte die kleine Stadt am Flüsschen Traun bei einem Jagdausflug als geeigneten Ort für seine „Sommerfrische“. Von 1849 bis 1914 regierte er in den Sommermonaten von dort aus sein großes Reich. Mit ihm packte auch der Hofstaat die Koffer und jede Wiener Familie, die etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte. Darunter waren Architekten, Maler (u.a. Gustav Klimt), Schriftsteller, der Operntenor Richard Tauber, die Komponisten Johannes Brahms, Gustav Mahler, Franz Lehár, Carl Michael Zierer, Johann Strauß, Emmerich Kálmán und Robert Stolz, die sich in Ischl oder Umgebung für die Sommermonate häuslich einrichteten oder sogar eigene Villen besaßen. Und da gab (und gibt es) es auch die Schratt-Villa, in der Katharina Schratt, ihres Zeichens berühmte Schauspielerin des Wiener Burgtheaters, jeden Morgen den Kaiser zum Frühstück empfing. Denn sie war sein „Gschpusi“, die Freundin die ihm seine Frau zugeführt hatte. Dieses charmante Wort leitet sich ab vom italienischen „sposa, sposo“, was übersetzt Braut und Bräutigam bedeutet. „Gschpusi“ meint aber keineswegs diese ehrbaren Begriffe, sondern eine mehr oder weniger heimliche Liebschaft, je nachdem ob außerehelich oder nicht. Diese k.u.k Beziehung war außerehelich, aber keineswegs heimlich, denn ganz Österreich wusste davon und alle gönnten ihrem Kaiser sein Gschpusi.
Heute noch feiert man, auf Kaiserwetter hoffend, am 18. August des Kaisers Geburtstag mit Feuerwerk und allem was zu einem Volksfest gehört. Die kleine Stadt hat Charme, Operettenfestwochen und eine Umgebung, in der unter anderen bekannten Naturschönheiten auch der Wolfgangsee, der Attersee, Mondsee, Hallstatt und der Dachstein zu bewundern sind. Mozarts Geburtsstadt Salzburg ist auch nicht weit, die für Alexander von Humboldt, den Weltreisenden des 19. Jhdts., zu den sieben schönsten Städten der Erde zählte.
Nicht unerwähnt darf die berühmte Ischler Café-Konditorei Zauner sein (ehemals k.u.k. Hofzuckerbäcker), ein berühmter Tempel des Genusses und Heimat der bösen kleinen Monster, man nennt sie auch Kalorien, die bekanntlich in der Nacht heimlich unsere Kleider enger nähen.

In der Kaiservilla, dem Sommerwohnsitz der habsburgischen Herrscherfamilie, kann man die Handschuhe besichtigen, die Kaiserin Elisabeth bei ihrer Ermordung trug. Interessanter finde ich den auch dort ausgestellten Originalbrief, den der Kaiser des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn am 28. Juli 1914 in Bad Ischl „An Meine Völker“ schrieb. Darin verkündete er nach dem Attentat auf den Thronfolger und dessen Gemahlin in Sarajewo die Kriegserklärung an Serbien, die den 1. Weltkrieg auslöste.
Der Kaiser, der sich an guten Tagen mit dem Standardsatz „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“ verabschiedete, seufzte als er per Telegramm von der Ermordung seiner Frau erfuhr: „Mir bleibt doch gar nichts erspart auf dieser Welt“. Er starb 1916 und so blieb ihm wenigstens erspart, den Untergang seines Reiches unmittelbar nach Kriegsende im Herbst 1918 erleben zu müssen.
Die Völker erhielten ihre Freiheit und Österreich schrumpfte auf Kleinformat.
Nachvollziehbar, dass ältere Österreicher, vor allem Wiener, in ihrem Herzen noch heute royale Gefühle pflegen und am liebsten eine monarchistische Partei wählen würden, wenn es denn eine gäbe.

Im 14. Jhdt. wurde der Satz geprägt: „Bella gerant alii, tu felix Austria nube“, was übersetzt bedeutet: „Kriege führen mögen andere, du glückliches Österreich heirate“. Entstand dieses große Österreich, „in dem die Sonne nie untergeht“ (weil im 19. Jhdt. für kurze Zeit auch Mexiko dazu gehörte), nur durch geschickte Heiratspolitik? Nein, denn ganz ohne Kriege hat es dann doch nicht funktioniert, was zu leugnen eine zwar liebliche, andererseits doch recht grobe Geschichtsfälschung wäre.

Nun geht die kleine Reise zu Ende, die uns durch eine schöne Landschaft, zwei Städte und ein bisschen Geschichte geführt hat. Taucht ein in diese große prächtige Stadt an der Donau, genießt die kleinen bezaubernden Ortschaften, Berge  und Seen des Salzkammerguts und nehmt auch Salzburg in Euer Reiseprogramm auf .