Der November wird auch Totenmonat genannt. Die Katholiken feiern „Allerheiligen“ und „Allerseelen“ und die Protestanten den „Totensonntag“ zum Gedenken an die Verstorbenen. Deshalb bekommt das verdrängte Thema in dieser Zeit seinen Platz.
Die meisten Menschen definieren den Tod als Lebensende. In Wahrheit aber bedeutet er nur das Ende unsres biologischen Daseins. Wir sollten keine Angst vor ihm haben, denn es gibt ihn nicht, zumindest nicht so, wie wir ihn uns vorstellen und wie er uns, mit Angst und Schrecken behaftet, von den Kirchen vorgegaukelt wird. Wir warten nicht „schlafend“ in unseren Gräbern, bis wir in unseren physischen Körpern auferstehen, um dem „Jüngsten Gericht“ vorgeführt zu werden. Das ist blanker Unsinn, den hoffentlich niemand glaubt.
Tod bedeutet „Nichtleben“, was niemals und nirgendwo existiert, denn es gibt nur Leben. So ist der Tod, da er unserer Welt der Polarität (der Gegensätze) angehört, eine große Illusion. Vielleicht kennst auch Du, liebe Leserin, lieber Leser, das Gefühl unsterblich zu sein und es würde nur „die anderen“ treffen. Dieses Empfinden von Unsterblichkeit ist durchaus berechtigt, weil tief in uns das Wissen existiert, dass wir tatsächlich unsterblich sind, womit natürlich nicht unser physischer Körper gemeint ist.
Geburt und Tod sind Eintrittskarten in unterschiedliche Dimensionen. Durch Geburt gelangen wir in die grobstoffliche irdische Welt und durch das Sterben in feinstoffliche jenseitige Welten. Beide Vorgänge sind kein Anfang und auch kein Ende.
Wenn ein Mensch stirbt, so vollendet sich sein physisches, irdisches Leben. Er überschreitet im Haus seines Lebens die Schwelle von einem Raum in einen anderen. Der italienische Maler und Bildhauer Michelangelo drückte das so aus: „Ich bin nicht tot, ich tauschte nur die Räume.“
Manche Menschen empfinden den Tod als Strafe für etwas, was sie durch ihn zu sühnen hätten. In diesem destruktiven Denken wird nicht bedacht, dass jedes Menschenleben endlich ist, dass also der sogenannte Tod ein natürlicher Teil des Lebens ist, der auch Heilige trifft. Trotzdem halten wir Bewohner der westlichen Welt diesen „Tausch der Räume“ für grausam und sinnlos. Also versuchen wir das irdische Leben um jeden Preis zu verlängern. Wir transplantieren, klonen und lassen Schwerkranke, die sterben wollen nicht gehen, weil wir nicht mehr den Sinn des Todes verstehen. Er ist das Tor in unsere eigentliche Heimat, die weniger ein Ort als vielmehr ein Seins- oder Wahrnehmungszustand ist und notwendig für den weiteren Aufstieg innerhalb unserer geistig-seelischen Evolutionsspirale. Und vielleicht werden wir eines Tages in der Lage sein, diesen Übergang anders zu gestalten, ohne Krankheit, ohne Leid, ohne Schmerzen, einfach nur, weil wir den Wunsch haben, in andere Erfahrungsbereiche einzutreten.
Ich möchte nichts schön reden oder gar den Eindruck erwecken, ich hielte den Tod für einen „Spaziergang“. Unsere Geburt war auch keiner, sondern mit Stress, Angst und Schmerzen verbunden, nicht nur für unsere Mütter. Wir erinnern uns nur nicht daran.
Wer möchte denn Schmerzen erleiden, an Schläuchen hängen und von Geräten im Krankenhaus abhängig sein.
Aber es wäre gut zu lernen mit der Angst umzugehen, sich ihr zu stellen und aus dem Lebensende kein Tabuthema zu machen, mit all den unguten Konsequenzen, die eine Verdrängung mit sich bringt.
Ich erinnere mich an einen Fall, von dem ich vor ein paar Jahren gelesen hatte. Ein Mann war einige Jahre lang völlig dement, auch sprachlos und erkannte niemanden mehr. In seinen letzten Lebensminuten in einem Krankenhaus setzte er sich auf, verabschiedete sich klar und deutlich von seinen Angehörigen und sprach jeden einzelnen persönlich an. Die Ärzte waren neugierig und baten die Angehörigen, seinen Kopf obduzieren zu dürfen. Was sie fanden, war ein aufgelöstes, fast nicht mehr vorhandenes Gehirn. Deshalb hätte er sich eigentlich nicht mehr bewegen, nicht sprechen und auch nicht seine Angehörigen erkennen dürfen.
Unsere Persönlichkeit, unser Bewusstsein ist also grenzenlos und nicht an unsere Körperlichkeit, an unser Gehirn gebunden.
Wenn wir nicht ganz ignorant sind, erkennen wir, dass wenn ein geliebter Mensch stirbt, nur zu einem geringen Teil der Körper diesen Menschen ausgemacht hat.
Ich habe für mich ein „Rezept“ gefunden und dafür auch Vorbilder. Zwei mir sehr wichtige Menschen, die beide für meine Begriffe zu früh gegangen sind, haben sich am Ende ihres physischen Lebens geöffnet und waren einverstanden mit allem, was auf sie zukommen wird. Sie sind ihren letzten Weg mutig und mit Würde gegangen. Das Einverstandensein ist der Schlüssel zum Loslassen, das einen leichteren Abschied ermöglicht.
Versuchen wir den Tod als das zu begreifen, was er tatsächlich ist:
Ein Transformationsprozess, für den die Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling immer noch das perfekte Sinnbild ist: „Was die Raupe als Ende der Welt bezeichnet, nennt der Rest der Welt Schmetterling.“ (Lao Tse)
Diese Metamorphose, die wir Tod nennen, ist das letzte und größte Abenteuer unseres irdischen Daseins.
„Alles was mich die Wissenschaft bisher gelehrt hat, bestätigt meinen Glauben an eine spirituelle Wiedergeburt nach dem Tod. Ich glaube an eine unsterbliche Seele. Die Wissenschaft hat bewiesen, dass sich nichts in Nichts auflösen kann.“
(Wernher von Braun, deutscher Raumfahrtwissenschaftler der NASA)
P.S. November-Situationskomik:
In diesen Tagen hat an meinem Wohnort Dießen ein Bestattungsunternehmen seine Pforten geöffnet. Im Schaufenster eine Einladung für die Eröffnungsfeier. Sie endet mit den Worten: „Dann trinken wir zusammen ein Glaserl und stoßen auf Ihre Zukunft an.“
Vielleicht gehe ich hin…