Gedankensplitter während einer Pandemie

Erinnert Ihr Euch noch? Der Einkauf im Supermarkt war ein Highlight (bis zur Einführung des Mundschutzes) und der Anblick der letzten Packung Toilettenpapier im Regal schüttete Glückshormone aus. Nun, da sich selbiges bis zur Decke stapelt, versuchen wir uns dem „savoir vivre“, der französischen Lebensart anzunähern. Denn wie man hört, setzen wir nun auf Wein und Kondome. Die Sinnhaftigkeit kann ich nicht beurteilen, weil ich Alkohol nicht vertrage und über Kondome zu reden finde ich uncool. Auf jeden Fall aber hat beides wesentlich mehr Charme als Klopapier.
Liebhaber von Knoblauch erleben paradiesische Momente, indem sie ihren gesellschaftlich nicht angemessenen Gaumengelüsten mit Hilfe von Abstandsregelung und Mundschutz endlich hemmungslos frönen dürfen. Wozu auch ich mich gerne bekenne.

Wenige Flugzeuge am Himmel, weniger Autos auf den Straßen, keine Kreuzschiffe auf den Meeren. Fische und Quallen in Venedigs Kanälen und Delfine an den Küsten der Adria.
Vollbremsung durch einen Virus und Erstaunen, wie schnell sich die Natur regeneriert, wenn wir die Finger von ihr lassen. Im Einklang mit ihr wäre so viel möglich, was wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.

Die Regierung beratende, zu TV-Stars mutierte, omnipräsente Virologen treiben die Politik vor sich her, die auf deren Kompetenz angewiesen ist. Unsere Volksvertreter versuchen nichts falsch zu machen, was ihnen eines Tages um die Ohren fliegen könnte. Der Gesundheitsminister vorsorglich im Bundestag: „Wir werden einander in ein paar Monaten wahrscheinlich viel verzeihen müssen“. Das mag sein und es wäre gut, wenn das Verzeihen gelingen könnte. Denn wir alle sind fehlbar, auch Politiker und sogar Wissenschaftler. Eine Ausnahme machen natürlich die Verschwörungsmärchenerfinder und ihre Anhängerschaft.

Mich stört, wie Ärzte und Wissenschaftler niedergemacht werden, die eine dem aktuellen medizinischen Mainstream entgegengesetzte Meinung vertreten. Weil nicht sein kann was nicht sein darf? Inzwischen sind es viele geworden, die sich kritisch zu Wort melden und damit ihre Reputation und  manches Mal ihre Approbation riskieren. Werden abweichende Meinungen mit Ächtung bestraft und sind fachlich versierte Selbstdenker unerwünscht? Immer häufiger werden sie von einigen der besten wissenschaftlichen Köpfe der Welt unterstützt.
Meinungsvielfalt zu dulden und gegebenenfalls zu erdulden ist Demokratie, Unduldsamkeit gegenüber anderen Meinungen ist es nicht. Ein Absolutheitsanspruch ist weder in der Politik noch im privaten Miteinander eine vernünftige Haltung und schon gar nicht in der Wissenschaft. Wir alle lernen, immer und in diesen Wochen vielleicht mehr denn je.
Der Philosoph Jürgen Habermas im Interview: „Soviel Wissen über unser Nichtwissen gab es noch nie.“

Für Verschwörungstheoretiker und Erfinder von FakeNews und ihre zahlreichen Gläubigen fallen gerade Weihnachten und Ostern zusammen. Wie ein Tsunami überschwemmt uns dieser leicht durchschaubare Mist. Sie meinen zu wissen, dass es den Virus gar nicht gibt, sind sich aber ganz sicher, dass er aus einem chinesischen Labor entfleucht ist.
Und selbstverständlich ist dieser nicht existierende Virus auch aus einem israelischen Labor freigesetzt worden, und zwar absichtlich zwecks Dezimierung oder gar Ausrottung der Menschheit. Außerdem sei der Vatikan daran schuld, die Freimaurer, Illuminaten und Aliens. Letztere hätten uns den Virus per Meteorit geschickt! Dazu werden noch wie üblich die Milliardäre Bill Gates, George Soros, die Rockefellers und Rothschilds aus der Neidhölle der Gläubigenherzen geholt.
Über all den anderen aber „die Juden“, ewige Sündenböcke. „Jüdische  Weltverschwörung und jüdische Weltherrschaft“. Was einen rasanten Anstieg des Antisemitismus im Kielwasser des Virus zur Folge hat. Kaum gibt es irgendwo eine Krise, ploppt er wieder hoch, aus der rechten Ecke stammend, in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen, durchschaubar und in den Jahrhunderten nicht intelligenter geworden. Aus der Geschichte lernen? Selbstständig  denken scheint anstrengend zu sein. Antisemitismus, eine zweitausend Jahre alte Tradition. Wie praktisch ist das. Man muss nicht viel Neues aus den Untiefen der gestörten Psyche herauf befördern.

Die Erfinder von FakeNews und Verschwörungstheorien, die ja wissen, dass sie lügen, sind unanständig und infam, ihre Gläubigen aber bis obenhin angefüllt mit Sendungsbewusstsein. Sie fühlen sich lebendig, wissend, bedeutend und meinen Auserwählte zu sein, die den Einblick hinter die Kulissen des Weltgeschehens haben, dessen Ergebnisse sie dann den staunenden Ahnungslosen und Naiven offenbaren. Das kann schon süchtig machen.
Was die Erfinder von der Intelligenz ihrer eigenen Anhängerschaft halten, lässt sich an vielen Beispielen deutlich erkennen, davon nur ein besonders skurriles: Nicht der Frontmann der Band „Scorpions“ Klaus Meine habe den Song „Wind of Change“ komponiert und getextet, sondern der US-Geheimdienst CIA, zwecks Beförderung des Untergangs des damaligen Sowjetreiches.
Die Erfinder verbreiten ihre Ideen nicht aus Jux. Ihr Ziel ist es, die Bevölkerung so zu verunsichern, dass sie in ihrer Wut, Angst und Hass reif wird für einen Bürgerkrieg und die Abschaffung der Demokratie. Und sie verbergen dieses Ziel auch gar nicht.
FakeNews (= gezielte Desinformation) waren in der Menschheitsgeschichte schon immer ein Mittel, um Kriege anzuzetteln.

Vor einigen Tagen fragte mich eine Freundin, woran man Verschwörungstheorien erkennen könne. Die meisten halte ich für leicht durchschaubar, wenn man logisch denkt. Vorsicht ist nach meiner Meinung geboten, wenn einzelne Personen oder Personengruppen haftbar gemacht werden für alles Übel in der Welt. Zu den Juden, Freimaurern usw. stoßen dann noch die „Dunkelmächte“ und die „Grauen“ u.v.a., also diffuse Kandidaten, die niemand wirklich kennt oder die gar nicht existieren. Weshalb man auch nichts beweisen oder gegenbeweisen kann. Aber wenn wir schon bei den Farben sind, wirklich Vorsicht ist geboten vor den „Braunen“, in der heutigen Zeit die häufigste Quelle dieses Übels.
Für Verschwörungsmärchen habe ich meinen ganz persönlichen Maßstab. Sie sind daran zu erkennen, dass sie hetzend Wut, Hass, Aggression und Angst schüren und auslösen. Mit all dem erfundenen Wahnsinn möchte ich nicht meine Innenwelt verschmutzen und ich will auch kein geistiges Mittelalter. Das Leben ist zu kurz und zu kostbar, um sich damit zu beschäftigen.
Ich will es aber nicht für unmöglich halten, dass es in unserer Welt auch Mächte geben mag, die es nicht gut mit uns meinen. Wenn das so ist, dann dürfen sie sich darüber freuen, wie mit Hilfe der uns geläufigen Sündenböcke von ihnen abgelenkt wird.

Viren begleiten uns jeden Tag. Wir haben sie in uns und sie schweben herum, wie wir lernen durften. Vor ihnen sind alle gleich. Auch sie sind ein Teil der Natur, die uns gerade die rote Karte zeigt. Wie alles, so hat auch der Virus zwei Seiten. Die in meinen Augen positive Seite ist, dass wir für ein paar Wochen auf das Wesentliche zurück geworfen wurden, auf das was wir tatsächlich brauchen. Und darauf, was das Leben wirklich ausmacht.
Die menschlichen Allmachtsfantasien, wir seien die Beherrscher der Natur und dürfen mit ihr machen was wir wollen, werden zurecht gestutzt. Wir haben es innerhalb von einhundertfünfzig  Jahren geschafft, unseren physischen Körper, die Psyche, unsere Umwelt, das Klima, den  Planeten,  ja das Leben als solches aus dem Gleichgewicht zu bringen. Jetzt gibt es  eine Gelegenheit zur Umkehr, die wir nutzen sollten, denn wir können nichts mehr verdrängen.
Diese weltumspannende Krise greift in sämtliche Bereiche des Lebens ein und wirkt wie ein Scheinwerfer, der alles beleuchtet, was unmenschlich, grausam, ungerecht, unethisch, unsozial, ausbeuterisch und herabwürdigend ist. Es sind die zahlreichen von Menschenhand geschaffenen Schwachstellen der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen und Systeme. Nicht, dass wir diese nicht schon vorher gesehen hätten.
Die globalisierte Wirtschaft ist ein Kampfplatz, auf dem nur die Stärksten überleben. Wofür der Onelinehändler Amazon das bekannteste Symbol ist. Prof. Harald Welzer nennt die aktuelle weltwirtschaftliche Situation eine „Entzauberung der Globalisierung“.
Man stelle sich eine Menschheit vor, in der jeder alles hat was er braucht und noch ein bisschen mehr. Das ist keine Sozialromantik, sondern dringend not-wendig.

Dass „Fridays for Future“ wieder aktiv ist, oneline und per Lifestream, freut mich. Denn die Stimmen in der Morgenluft witternden Wirtschaft mehren sich, dass Umwelt-und Klimaschutz keine Priorität mehr haben könne. Wenn wir das zulassen, dann haben wir in ein paar Jahren ein weitaus größeres Problem, als es ein Virus uns jemals bescheren könnte.

Step by step wurden wir aus der „Käfighaltung“ entlassen und sind bald wieder freilaufend. Zwar mit Mundschutz und Abstand, aber immerhin. Nun haben wir die Wahl, zweierlei Eier zu legen. Das eine ist aus konventioneller Haltung und vermittelt: „Wir holen alles nach, machen weiter wie gehabt und uns gehört die Welt“. Das andere ist ein Bio-Ei und bedeutet: „Wir haben endlich verstanden, erfinden unser Leben neu und nutzen die Erkenntnisse, die wir als Bürger und Verbraucher in diesen Wochen gewonnen haben, für eine bessere Welt.“

Ich meine, dass es Zeit ist, unsere innere Weisheit zu entdecken, die von Emotionen, Ängsten, Angelerntem und Ablenkung überlagert ist. Sie ist die Instanz in uns, die weiß wie es wirklich geht, was wirklich wahr ist und die dafür nicht den Intellekt bemühen muss. Was aber nicht bedeutet, dass wir den nicht brauchen. Der Verstand will verändern, die Weisheit möchte verwandeln. Innere Weisheit und und äußeres Wissen im Einklang kann und wird eines Tages unsere Welt verändern und verwandeln.

„Furcht besiegt mehr Menschen, als alles andere auf der Welt“
(Ralph Waldo Emerson)