Einsamkeiten

Das aktuelle Virusgeschehen hat seine Scheinwerfer unter vielen anderen „Baustellen“ auch auf die Baustelle Einsamkeit gelenkt.
In meinem Bekanntenkreis starben zwei Menschen an CoVid19 auf Intensivstationen, ohne dass ihre Angehörigen ihnen beistehen durften.
In Senioreneinrichtungen ist Einsamkeit generell ein Problem, das zur Zeit des „Shutdowns“ und „Lockdowns“ noch deutlicher sichtbar wurde. Alte Menschen durften ihre Angehörigen nicht mehr treffen. Keine Berührung, keine Umarmung, Kontakte nur über das Telefon.
Viele von ihnen sind nicht am, sondern „mit“ dem Virus gestorben  –  einer der unzähligen „Kollateralschäden“ dieser Zeit.

Ungefähr 75%  der Menschen in meinem Umfeld sind Singles, auch ich. Als mir das bewusst wurde, begann ich mir Gedanken zu machen.
Einsamkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Tabuthema, aber auch ein individuelles. Denn wer gibt schon gerne zu, dass er sich einsam fühlt. Und so ist sie zu einer „Epidemie im Verborgenen“ geworden, wie man das in Großbritannien formuliert hat, also zu einem ernsthaften Problem.
Man benötigte damals auf der Insel keinen Virus, um das zu erkennen und so wurde vor einigen Jahren in London ein „Ministerium für Einsamkeit“ gegründet. Welche Aufgaben hat eine solche Institution und was könnte sie tatsächlich bewirken? Ganz sicher wird sie nicht als Partnerbörse dienen. Ich nehme an, dass es um Forschung geht und darum, wie man Möglichkeiten findet, ungesunde Strukturen zu verändern. Diese in die Tat umgesetzte Idee zeigt, wie bedrängend das Problem tatsächlich ist und dass es in Großbritannien als solches erkannt wurde. Denn klar ist nach allem was die medizinische und benachbarte Wissenschaft/en zu Tage gefördert haben: Einsamkeit macht krank!
Der Mensch ist ein soziales Wesen, das nicht alleine, sondern vernetzt sein möchte. Verschiedenste psychosomatische Erkrankungen, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Bluthochdruck, Schlafstörungen, Depressionen, vielleicht auch die eine oder andere Krebsart und der Verlust von Lebensjahren gehen auf das Konto der Einsamkeit.
„Es ist nicht gut, dass der Mensch
allein sei“ sagt uns die Bibel.

Millionen einsamer Briten, das ist gewiss übertragbar auf Deutschland und die anderen westlichen Länder. 41 % der Deutschen leben alleine, die meisten wohl nicht freiwillig.
Ein unfreiwilliges Leben als Single macht einsam. Durch Lebensumbrüche wie z.B. der Tod innerhalb einer Partnerschaft oder Trennung/Scheidung kann man ganz schnell in Einsamkeit geraten, denn häufig verschwindet in der Folge auch der gemeinsame Freundeskreis. Und bei älteren Menschen brechen aus biologischen Gründen nach und nach Angehörige und Freunde weg.
Auch Armut bedingt Einsamkeit, weil sie eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unmöglich macht. Kinder und junge Leute, die sich über die sogenannten sozialen Netzwerke definieren und sich mit vermeintlichen oder gar virtuellen „Freunden“ zufrieden geben, können vereinsamen. Ein nicht geringer Teil  wird depressiv und süchtig sowieso. Es gibt Menschen, die über Monate hinweg keinerlei soziale Kontakte haben.
Einsamkeit erzeugt eine Resignaton gegenüber dem Leben.
Wohl dem, der gute und treue Freundschaften hat, die Wind und Wetter standhalten. Aber die „liegen nicht auf der Straße“, denn sie sind seltene Kostbarkeiten, die man geschenkt bekommt.

Nun ist nach meiner persönlichen Definition und Erfahrung Alleinsein und Einsamkeit zweierlei: Alleinsein ist selbst gewählt, während Einsamkeit unfreiwillig ist.
Ich lebe seit bald 19 Jahren solo und habe mich oft einsam gefühlt. Im Laufe der Zeit erlebte ich aber immer wieder, dass ich mich zwar alleine, aber doch recht wohl damit fühlte. Da begann ich meine Einsamkeits- und Alleinsein-Gefühle zu beobachten und stellte schließlich zwei „Einsamkeiten“ fest. Die eine war verbunden mit Selbstmitleid und daraus resultierend einer Opferhaltung, durch die ich mich sehr schnell in einer Abwärtsspirale wieder fand. Die andere vermittelte mir Zufriedenheit und ein Glücksgefühl, das einen inneren Frieden erzeugte. Bald wurde mir klar, dass es um meine innere Einstellung geht und dass ich es selbst in der Hand habe, welche der beiden „Einsamkeiten“ ich zulasse. Wenn ich mich am Morgen vor dem Aufstehen daran erinnere, wofür ich dankbar sein kann und nicht aufzähle, was alles mir vermeintlich fehlt, dann fängt der Tag schon gut an, denn ich habe mich für die andere, die positive Einsamkeit entschieden, falls ich den Tag alleine verbringe. Allerdings verwende ich nicht mehr diesen belasteten Begriff, sondern nenne sie „Stille“, einen Zustand, den ich immer mehr suche und gerne auch den „Mönch in mir“ nenne, mit dem ich ein Date habe.

Und dann gibt es noch eine dritte Einsamkeit, die leider nur höchst selten erlebt wird, denn sie ist eine Gnade. Es ist das „All-Eins-Sein“, das sich eins fühlen und wissen (was keine Kopfgeburt ist) mit Allem. Es ist ein zutiefst spirituelles Erlebnis, das sich selbstverständlich nicht aus einer Abwärtsspirale entwickeln kann.

Ein Gleichgewicht zu halten zwischen dem so wichtigen Miteinander und einem immer besseren Alleinsein, das wäre aus meiner Sicht die positive Lösung eines großen Problems.

„Einsamkeit ist der Weg,
auf dem das Schicksal den Menschen zu sich selber führen will“
 (Hermann Hesse)

„Allein sein zu müssen ist das Schwerste,
allein sein zu können, das Schönste“
(Rabindranath Tagore)