Ein Universitätsprofessor für Genetik erklärt seinen Studenten an Hand eines (nicht realen) Embryo, dass in dessen Genen folgende Krankheiten angelegt sind, die ausbrechen können oder auch nicht: Schwere Depressionen, Leberzirrhose, Taubheit und noch einiges mehr. Schließlich lässt er die Studenten abstimmen, ob der Embryo leben darf oder nicht. Die Mehrheit entscheidet sich für eine Abtreibung. Der Professor beendet die Vorlesung mit den Worten: „Meine Damen und Herren, Sie haben heute Ludwig van Beethoven abgetrieben.“
Ich weiß nicht, ob sich diese Szene tatsächlich an einer Uni ereignet hat, oder ob sie nur eine gut erfundene Anekdote ist. So oder so aber beleuchtet sie die Hybris des Menschen – gerade auch in unserer Zeit der genetischen Forschung – also die wissenschaftliche Anmaßung zu entscheiden, welches Leben wert ist eine Zukunft zu haben und welches nicht.
Hier geht es mir aber nicht vorrangig um eine ethische Frage, sondern um das wertvolle und ganz und gar nicht langweilige Leben eines der größten Genies der Musikgeschichte.
Beethoven galt als Misanthrop. Aber er war kein Menschenfeind. Zu viel und zu regelmäßig trank er billigen Weißwein. Der wurde damals mit „Bleizucker“ gesüßt, was nicht sehr bekömmlich klingt. Man kannte die Giftigkeit von Blei noch nicht. Das Ergebnis waren fortschreitende Ohrprobleme, Depressionen, ungebremste Temperamentsausbrüche und schwer geschädigte Organe, was die typischen Folgen einer Bleivergiftung sind, der er Jahrzehnte lang ausgesetzt war. Die Gene hatten vermutlich wenig mit seinen Krankheiten zu tun. Und es ist ein Wunder, dass er immerhin 56 Jahre alt wurde.
Der kleine Louis van Beethoven wurde am 17. Dezember 1770 in Bonn am Rhein getauft. Sein Geburtstag ist nicht bekannt. Wegen der übermäßigen Kindersterblichkeit taufte man zeitnah, so dass davon auszugehen ist, dass er am 16. oder 17. Dezember diese Welt betrat.
Der große Ludwig van Beethoven starb am 26. März 1827 in Wien, die Stadt in der er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte und in die es so viele große Komponisten zog. Zwischen diesen beiden Eckdaten seines Lebens schenkte er der Welt unfassbar schöne, unsterbliche und göttliche Musik. Letzteres ist wörtlich zu verstehen, davon ein paar Zeilen weiter unten. Beethoven wurde exakt am Ende der Barockzeit geboren, die bis etwa 1770 dauerte. Mit vielen seiner Werke hat er in die Zukunft komponiert und vor allem mit seinem Spätwerk war er seiner Zeit, dem des Barock nachfolgenden Klassizismus weit voraus.
Mit 32 Jahren schrieb er sein sogenanntes „Heiligenstädter Testament“, welches an seine Brüder adressiert war. Er war des Lebens auf Grund zahlreicher gesundheitlicher Einschränkungen und der beginnenden Taubheit überdrüssig. Glücklicherweise beschloss er um der Musik willen, doch am Leben zu bleiben. Das Testament beginnt mit den Worten: „Oh ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet, wie unrecht tut ihr mir…“
In Wien fand er in Fürst Karl von Lichnowsky einen Freund und Gönner mit Familienanschluss, der ihm in seinem Palais eine Wohnung zur Verfügung stellte. Diese war nur eine von insgesamt 70 Adressen. Wenn Beethoven irgend etwas nicht passte, packte er sofort seine Sachen und zog um.
Lichnowsky empfahl ihn an den Wiener Adel, damit er Klavierschüler und Kompositionsaufträge bekam. Das war lebensnotwendig, da er kein bezahltes Amt hatte, wie z.B. Hofkapellmeister. Als er ein Angebot aus Kassel für eine Hofkapellmeisterstelle erhielt, trotzte er dem Wiener Adel einen Rentenvertrag über jährlich 4000 Gulden ab, damit er in der Stadt bleibt. Der Coup gelang, der das Mehrfache der Kasseler Entlohnung war.
Als der Fürst den Freund 1896 bat, vor französischen Offizieren Klavier zu spielen, empfand er das als Zumutung und schrieb: „Fürst! Was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt, Was ich bin, bin ich durch mich. Fürsten gibt es tausende, Beethoven nur einen!“
Das war die unverblümte, nicht besonders diplomatisch vorgetragene Wahrheit eines Freigeistes und das Ende einer großen Freundschaft. Grundsätzlich pflegte er sich deutlich und kompromisslos auszudrücken, so wie gegenüber dem Fürsten, aber auch ganz anders und geradezu gegenläufig: „Gegen alle Menschen äußerlich nie die Verachtung merken lassen die sie verdienen, denn man kann nie wissen, wo man sie braucht.“
Beethoven war eine stadtbekannte Persönlichkeit. Trotz seiner robusten Art scheint er doch so etwas wie ein „Womanizer“ gewesen zu sein. Er pflegte platonische und weniger platonische Liebschaften, vor allem in Adelskreisen. Sie alle hatten letztendlich keine Aussicht auf Erfüllung, weil sie am Standesunterschied scheiterten. Was heute den Bestand von Monarchien rettet, war damals ein „No Go“.
Aber es gab die Eine, die die wichtigste in seinem Leben war und die er in einem Brief „Unsterbliche Geliebte“ nannte. Er beginnt mit den Worten: „Mein Engel, mein Alles, mein Ich!“ und endet: „Ewig Dein, ewig mein, ewig uns!“ Welche der Damen tatsächlich die unsterbliche Geliebte war, wissen wir nicht. Aber Spekulationen sind erlaubt und Forschung für die Musikwissenschaft Pflicht. Es gibt eine Favoritin, da sind sich die meisten Beethoven-Forscher einig. Es ist die österreichisch-ungarische Gräfin Josephine von Brunsvik. Beethoven war ihr und ihrer Geschwister Klavierlehrer. Der im 20. Jhdt. aufgefundene Briefwechsel, aber auch schriftlich festgehaltene Erinnerungen ihrer Schwester Therese legen auf Grund des Inhalts und der Wortwahl nahe, dass Josephine die Unerreichbare gewesen sein könnte, die seine Liebe auch erwiderte.
Durch den Komponisten Johannes Brahms ist folgende Anekdote überliefert, die ein Licht auf Beethovens Verhältnis zu Gott, zur Inspiration und sein Selbst- und Sendungsbewusstsein wirft: Er hatte ein eigenes Orchester. Als sein Konzertmeister sich anlässlich der ersten Probe für ein neues Werk beim Meister über eine Stelle in der Partitur beschwerte, die für die linke Hand des Geigers zu schwer zu spielen sei, herrschte Beethoven ihn an: „Als ich diese Stelle schrieb war mir bewusst, von Gott dem Allmächtigen inspiriert worden zu sein. Glauben Sie, ich kann Ihre winzige Fidel berücksichtigen, wenn Er mit mir spricht?“ Und zur befreundeten Bettina von Arnim äußerte er in einem Brief: „Ich weiß, dass Gott mir näher ist als anderen meiner Zunft. Ich verkehre mit ihm ohne Furcht.“
War Beethoven tatsächlich „stocktaub“? Er hatte immer ein Konversationsheft bei sich, in das ihm Besucher schrieben, was sie zu sagen und zu fragen hatten. Der Meister antwortete mündlich oder auch schriftlich. Von den ungefähr 400 Heften sind 139 erhalten, die in der Berliner Staatsbibliothek und im Bonner Beethoven-Haus aufbewahrt sind.
Vor einigen Jahren machte sich der amerikanische Musikwissenschaftler Theodore Albrecht von der Kent State University in Ohio auf den Weg nach Berlin und Bonn, um die verbliebenen Hefte ins Amerikanische zu übersetzen. In Nr. 28 entdeckte er Erstaunliches. Dort gab Beethoven einem schwerhörigen Besucher den Rat, mit Hörrohren vorsichtig zu sein, denn diese akustischen Verstärker machten alles noch schlimmer: „Durch deren Enthaltung habe ich mein linkes Ohr so ziemlich erhalten.“ Und Albrecht fand weitere 23 Belege, auch Aussagen von Zeitzeugen, dass Beethoven nicht total taub war. Was auch ein britischer Dirigent bestätigte, der ihn besuchte. Vom Arzt Gerhard von Breuning existiert eine Tagebuchaufzeichnung aus dem Jahr 1826, in der er berichtet, dass bei Tisch seine kleine Schwester einen Schrei ausstieß. Den gehört zu haben „machte ihn (Beethoven) so glücklich, dass er hell und freudig auflachte.“
Albrecht stelle diese Erkenntnisse im Februar des Beethoven-Jahres 2020 zum 250. Geburtstag des Meisters während der Konferenz „Beethoven-Perspektiven“ vor. Seine deutschen Kollegen hatten die Konversationshefte offenbar nicht oder nur flüchtig gelesen. Nachdem sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse ganz generell nur langsam durchzusetzen scheinen, ist damit zu rechnen, dass Beethoven noch längere Zeit als „stocktaub“ gelten wird.
Der große Meister starb am 26. März 1827 in Wien während eines Gewitters. Dem Sarg folgten 25.000 Menschen und der Komponist Franz Schubert, der ihm ein Jahr später folgen sollte, war einer der Fackelträger.
Beethoven ist der Komponist der Freiheit. Geistig den Ideen (nicht den Taten) der französischen Revolution verpflichtet, schlägt sich dieser natürlichste menschliche Drang in vielen seiner Kompositionen nieder. Die musikalische Krönung dieser allen Menschen innewohnenden Sehnsucht ist seine einzige Oper „Fidelio“ und der letzte Satz der
9. Symphonie, die jubelnde „Ode an die Freude“.
„Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“
(Ludwig van Beethoven)
„Von Herzen möge es wieder zu Herzen gehen“
(Beethovens Widmung seiner „Missa solemnis“ an Erzherzog Rudolf)