Der letzte Friseurtermin fand am 13. November 2020 statt. Der nächste sollte am
8. Januar 2021 sein, was auch höchste Zeit war. Ja, wäre da nicht der weiche und dann der harte Lockdown dazwischen gegrätscht.
Meine Haare wuchsen unaufhaltsam engelsgleich gelockt in die Länge und Breite und immer an den falschen Stellen. Deshalb sah ich mich schließlich gezwungen, alle Spiegel zu verhüllen.
Als aber, wie im Märchen, die Not am größten war, kam ein Ritter mit Namen Markus (so heißt unser Landesvater) auf einem weißen Pferd herbei geritten. Er blickte voller Güte und Mitgefühl auf unsere bayerischen Wildwuchsköpfe herab und verkündete, dass er im Begriff sei, uns ab dem 1. März unsere Würde zurück zu geben.
Ich erschrak, denn ich verbrachte die vier Monate hemmungslosen Haarwuchses im Glauben, mir fehle nur ein Haarschnitt. Dass ich so lange ohne Würde war, hatte ich gar nicht bemerkt.
Eines Morgens, nach Monaten der Anarchie auf meinem Haupt läutete das Telefon. Meine Friseurin ließ mich wissen, dass sie einen Termin für mich hätte. Noch während dem Telefonat wurde ich von Glückshormonen überwältigt. Am liebsten hätte ich sie auf der Stelle adoptiert. Dieser große Tag wurde zu einem der schönsten meines Lebens, denn ich tat mühelos das, was andere Menschen mühsam in Indien lernen – eine Handbreit über den Boden schweben.
Endlich kam der Morgen des ersehnten Lockendowns. Am Abend vorher hatte ich meinen Wecker mehrmals auf seine Tauglichkeit überprüft und neue Batterien eingelegt. Danach folgte eine schlaflose Nacht.
Mit Herzklopfen und starker Rührung betrat ich den Friseurladen zu nachtschlafener Stunde (9 h 30). Aus meinen kurz über der Gesichtsmaske verquollenen Augen und durch meine angelaufene Brille sah ich meine Friseurin an (ich vermutete, dass sie es war) und aus mir brach es heraus: „Ihr habt mir sooo gefehlt!“ Auf meinen emotionalen Aufschrei reagierte sie gelassen, denn sie hörte ihn in diesen ersten Märztagen nicht zum ersten Mal.
Als ich nach Hause schwebte musste ich feststellen, dass mir ziemlich kühl am Kopf war. Dem konnte ich aber nach längerem Nachdenken Positives abgewinnen, weil wir in dieser Zeit doch einen kühlen Kopf bewahren sollten.
Wenn ich jetzt in die nicht mehr verhüllten Spiegel schaue und wieder „Spieglein, Spieglein an der Wand…“ spiele, sehe ich den besten Haarschnitt meines Lebens. Und hinter demselben lächelt mich meine Würde an, die sich freut, wieder mit mir vereint zu sein. Bis zum nächsten Lockdown…
Friseure sind systemrelevant! Punkt! Meine Friseurin sieht das auch so. Und auch Markus, unser immer strenger Landespapi, ist ganz meiner Meinung.
Markus for President!