In meinem Geburtsjahr 1944 war nicht nur der 2. Weltkrieg auf seinem Höhepunkt angekommen, sondern auch die Vernichtung von Menschen, die in den Augen der damaligen Machthaber „unwertes Leben“ darstellten. Das waren außer den Mitbürgern jüdischen Glaubens auch Sinti und Roma, Pazifisten, Sozialdemokraten, Kommunisten, mutige Menschen aus dem Widerstand, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, christliche Priester, Obdachlose und geistig und körperlich behinderte Menschen.
Der Geschichtsunterricht im Österreich meiner Generation endete beim Beginn des 1. Weltkrieges. Und so gibt es viele Menschen in meinem Alter, die sensibilisiert sind durch die Geschehnisse dieser dunklen Zeit. Was der Geschichtsunterricht versäumt hatte, holten wir lesend nach.
In meinen Wiener Jahren war ich ehrenamtlich in der an Mitgliedern kleinen Organisation „Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich“ aktiv. Dort hatte ich mit jüdischen Mitbürgern zu tun, die zum großen Teil Überlebende des Holocaust waren. Menschen wie Du und ich – intelligent, lebensbejahend, freundlich und mit einem speziellen tiefgründigen Humor ausgestattet. Wie oft habe ich es in meiner Jugend und auch später erlebt, dass auf meine Nachfrage, nachdem antisemitische Äußerungen gefallen waren, der Gesprächspartner keine sachlichen oder gar konkrete Gründe für seine Einstellung nennen konnte. Und die meisten hatten noch nie einen Juden bewusst zu Gesicht bekommen.
Heute greift der Antisemitismus wieder unverblümt und aggressiv um sich. Wir Menschen kommen ganz offensichtlich ohne unsere „Sündenböcke“, die man heute „Projektionsfläche“ nennt, nicht durchs Leben. Es scheint befriedigend zu sein, sich über andere zu erheben, sie herabzuwürdigen und in den Schmutz zu ziehen.
Warum sollte ich als intelligenter Mensch, für den ich mich halte, antisemitisch oder sonst wie „anti“ sein? In der Reihe meiner zahlreichen Erdenleben war ich in vielen Völkern und Religionen zu Hause. Und das gilt für jeden Menschen auf unserem Planeten.
Ist es nicht traurig, dass der Zentralrat der Juden uns dieser Tage um Solidarität bitten musste? Danach demonstrierten viele Christen, Moslems, Juden und andere in verschiedenen deutschen Städten für Toleranz und Akzeptanz.
Dass der Antisemitismus noch nicht einmal Juden braucht, wurde vor kurzem deutlich. Im TV wurde über ein Fußballspiel berichtet, während dem Fans den „Gruß“ der dunklen Zeit zeigten und antisemitische Parolen brüllten. Nun war aber kein einziger Jude auf dem Spielfeld. Das zeigt, wie absurd und irrational der Antisemitismus ist, aber auch alle anderen „Anti“, wenn sie sich gegen Menschen anderer Nationalitäten, Religionen und Hautfarben richten.
Ich meine, dass jeder in Gesprächen mit Mitmenschen Gesicht zeigen sollte, wenn sich eine Notwendigkeit ergibt.